Ich starb an einem Tag im Dezember

Ich lebte in Brasilien und ich starb im Dezember 2006.

Hierzu verfasste ich später einen Text, den ich heute mit euch teilen möchte. 

Ich wäre nicht der Mensch, der ich heute bin. 

Vielleicht hilft dir mein Text, wenn es in deinem Leben einmal sehr dunkel wird und du nicht mehr an das Leben glaubst. 

Das Leben ist schön. 

Ich lebe und heute weiß ich. 

"Alles im Leben hat einen Sinn."


Ich starb an einem Tag im Dezember

Ich starb nicht alleine.

Ich starb sitzend in einem Flugzeug, unbemerkt unter vielen. Meine geliebten Kinder haltend, fest umschlungen, nicht wissend, dass mein Tod erst der Anfang von all dem Schmerz, dem Zerfall war. Der wahre Tod wartete erst auf mich. In einer Welt, die ich nicht wollte, trat ich mit einem Schritt von Bord des Flugzeugs, gemeinsam mit der größten Liebe meines Lebens.

Meine Kinder. Wir gingen. Ich links, sie rechts. Nie sollte es mehr so sein, wie es einmal war.

Trennung.

Erst langsam schleichend, dann plötzlich da.

Die Wochenenden sind das Schlimmste.

Wenn ich nicht lang genug schlafen kann, früh aufwache, weil die Sonne mich weckt und auf mein Gesicht scheint. Die Sonne, die ich so sehr liebte. Wenn ich ohne Ziel vor die Tür gehe. Ziellos laufend, schleichend. Warum rennen? Es wartet keiner, heute und morgen nicht. Keiner! Wenn Carla weint, sterbe ich am Telefon.

"Warum kommst du nicht?"
"Ich habe kein Geld, mein Schatz."
"Ich gebe dir alles, was ich habe. Mein Sparschwein, aber bitte, komm nach Hause."

Und jeden Tag sterbe ich ein wenig mehr. Die Kraft zum Leben ist gegangen. Ein Zombie mit der Sucht nach Bestätigung.

Fotografiere.
Fotografiere.
Fotografiere.

Schau jeden Tag in die Zeitungen und sehe Bilder von mir.

Gute Bilder.
Gedruckte Bilder...
... die mich nicht freuen!

Ich brauche sie nur. Muss sie gedruckt sehen, um meinem Leben einen Sinn zu geben.

Ich saß am Grab eines Kindes, das ich nicht kannte. Eichhörnchen sprangen über die Wiese, und Vögel sangen mir mein Lied vom Tod. Alleine sitzend, tief versunken, weinend saß ich da.

Allein!

"Papa, wann kommst du?"
"Nie mehr, mein Schatz."
"Ich bin gegangen, meinem Weg dem Tod entgegen."
"Noch schaffst du es, mein Schatz, hältst mich am Leben."
"Lass mich nicht los."
"Halt mich fest."
"Ich schaffe es nicht ohne euch." 

"Ich liebe Dich." 


Vom 4. Dezember bis zum 31. Dezember 2006 besuchte ich Orte meiner Kindheit, meiner Jugend und fotografierte diese und verfasste diesen Texte

HOMETOWN

Ich erblickte das Licht der Welt an einem Montag.

Mein Licht war grau.

Kam hinter den Hochöfen zur Welt, gezogen am Kopf von einer 83 jährigen.
Komm jetzt von dem Pott runter, sagte sie Mutter und stell dich nicht so an.

Ich war gewollt, irgendwann und ich war ihr Sorgenkind, ein Leben lang.

Hat viel geweint ein Leben lang, Mutter.

Mein erstes Zuhause.
Graue Wände, ein Krankenhaus.
Mutter weinte vor der Scheibe, wenn ich schrie, hinter der Scheibe.
Wahnsinnig wäre sie geworden, durfte mich nicht halten, wenn ich litt und wahnsinnig wurde.

Warst schon immer mein Sorgenkind.

Wir zogen weg aus dem Dreck den Vater täglich machte, Eisen schmelzend, gießend hart.

Ich sah ein Foto, zwei Kinder, eine Mauer, grau und trostlos unser Hof.
Habe keine Erinnerungen, nur spüren tue ich sie sehr. Wenn ich ihn fühlen kann den Pott, dann hasse ich den Schmerz, der in mir wuchs, als ich einmal Kind war.

Tränende Augen, Ascherot, Schornstein qualmten, Dreck versprühend.

Heimat ich hasse dich.

Wollte rennen über Wiesen, bin gekrochen durch den Dreck.

Hast dich auf mich gelegt wie eine Haut, kann noch so viel schruppen, hast dich eingebrannt und mich vernarbt.

Wenn ich dich sehe stimmst du mich traurig, machst mich alt, grau, trostlos und leer.

Strahlst keine Freude, bist wie du warst und änderst dich nie.

Kinder, Fußball, Hinterhöfe, graue Asche, Öfen still.

Entschuldigung, wie heißt das hier?

Am Arsch der Welt, sagte sie, als ich frage.

Als Kohle ging, ging auch der Stahl und dann die Menschen überall.
Hast dich nicht geändert, bist nur jetzt allein.
Bist mir mein Mahnmal.
Grau und trostlos. Traurig und leer


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