Transiberica 2024 Teil 2.
Adam (Mitte) Paul (rechts) Foto: Arno Burgi ©
Fotos, Karten und Daten auf Ride with Gps
Dienstag, 3. September 2024
Da waren wir nun – Paul und ich. Keine zwei Tage nachdem wir die über 2.800 km lange und mit einigen Höhenmetern behaftete Transiberica auf breiter Straße in Bilbao beendet hatten. Und wir freuten uns beide auf weitere Tage im Sattel. Wir lachten herzlich bei dem Gedanken: Haben wir etwas falsch gemacht, dass wir noch in der Lage sind, nach Hause zu radeln? Das erzählen wir am besten nicht unserem gemeinsamen Freund und sehr erfolgreichen Ultradistanzfahrer Adam Bialek, der uns bestimmt verbal in den Hintern treten wird. „Wenn du jetzt noch fahren kannst, dann hast du im Rennen nicht alles gegeben!“ ;-) Aber immerhin war ich mit dem Rennverlauf zu 100% im Reinen. Meine Erwartungen wurden übertroffen. Wenn man Ultrafahrer fragt, ob sie sich vorstellen könnten, als Team an den Start zu gehen, habe ich noch nie jemanden sagen hören: „Ja, das könnte ich mir vorstellen.“ Ich hingegen könnte es mir sehr gut vorstellen. Ich liebe es, Freude zu teilen und einander in schwierigen Situationen zu unterstützen. Allerdings sollte man genau wissen, mit wem man sich auf ein solches Abenteuer einlässt. Paul und ich kennen uns schon lange, aber noch nie war ich zuvor mit ihm auf einer so langen Tour über mehrere Tage unterwegs. Und das sei vorweg gesagt: Ich würde wieder mit ihm fahren. Es dauerte nicht lange, bis wir die Stadt hinter uns ließen und in das grüne Baskenland eintauchten, das sich von seiner nassen Seite zeigte. Es ging ständig auf und ab, und wir tauchten immer tiefer in eine nebelverhangene, mystische Landschaft ein. Was ich zumindest nicht wusste: Gerade die Region zwischen Bilbao und San Sebastián ist ein wichtiges Industriezentrum Spaniens und hat eine lange Geschichte der industriellen Entwicklung. So fuhren wir durch Städte, die von Stahl- und Maschinenbau geprägt waren, vorbei an Luft- und Raumfahrt- und Hightech-Unternehmen sowie der Chemie- und Pharmaindustrie. Gut für die spanische Wirtschaft, aber optisch nicht so gut für zwei Radfahrer auf dem Weg nach Deutschland. Aber ein Erlebnis war es. Der Nebel verwandelte sich in warmen Regen. Hier und da ein Foto und natürlich durfte der morgendliche Besuch in einer Tapas-Bar nicht fehlen: Café con leche und ein Stück Tortilla. Und dann passierte uns beiden während des Rennens, was passierte: ein lautes Zischen und weiße Milch auf dem nassen Asphalt. Paul war durch eine Glasscherbe gefahren und hatte einen großen Schnitt im Reifen. Ich hielt das Loch zu, damit kein weiteres Dichtmittel aus dem schlauchlosen Reifen austrat und Paul holte sein Dynaplug-Reparaturset hervor – ein wunderbares Werkzeug. Er steckte einen Plug in den Schnitt, aber dieser dichtete das Loch nicht vollständig ab. Ich hatte vor dem Rennen in einem YouTube-Video gesehen, dass man in diesem Fall einen zweiten Plug verwenden sollte – und es funktionierte. Der Schnitt war abgedichtet und sollte die ganze Fahrt über abgedichtet bleiben. Während der restlichen Fahrt hatten wir keine weiteren Probleme.
Wir setzten unsere Reise fort und erreichten San Sebastian. Ich liebe nicht nur das Radfahren, sondern auch den Radsport und die Classica San Sebastian ist eines der bekanntesten Eintages-Radrennen der Region. Leider erfüllten sich meine Erwartungen an San Sebastian nicht. So fuhren wir auf einer zweispurigen Straße mitten durch einen endlosen Stau. Wo bin ich, fragte ich mich. Ein Foto auf den Klippen und weiter Richtung Biaritz. Wir überquerten die spanisch/französische Grenze und machten Halt bei einem Burgerladen. Vegie-Burger, Pommes und Hotel gesucht und gefunden. Einmal über die Straße und ein wunderschönes im amerikanischen Motelstil erbautes Hotel bot uns die perfekte Übernachtungsmöglichkeit.
Mittwoch, 4. September 2024
Der erste Tag unserer Heimreise war geschafft. Wir waren nun in Frankreich und wollten es ein zweites Mal durchqueren, nur diesmal von West nach Ost. Nach einem guten Frühstück machten wir uns auf den Weg nach Bordeaux. Was folgte war eine lange, sehr lange Geradeausfahrt. Eine sehr lange Geradeausfahrt parallel zur Autobahn A63 und dann weiter geradeaus, nur schließlich nicht mehr parallel zur Autobahn. Ein kurzer Stopp in Bordeaux, ein Besuch der Kathedrale St. André und weiter ging es. Nach Bordeaux änderte sich die Landschaft ein wenig und es wurde hügeliger und optisch abwechslungsreicher. Ein Stopp bei einer Bäckerei und dann ging es weiter bis es dunkel wurde. Unsere Unterkunft für die kommende Nacht buchten wir in einem kleinen, sehr netten Restaurant mit sehr leckerem Essen. Vor Ort, auf einem alten Bauernhof, wurden wir von unseren Gastgebern herzlich empfangen und übernachteten in einem sehr schönen Doppelzimmer. Wir bekamen sogar noch eine Tasse Tee und ein paar Geschichten von unseren Gastgebern. Tag 2 war geschafft.
Donnerstag, 05.09.2024
Wir sind früh losgefahren und was war das? Es war kalt an diesem Morgen und wir mussten uns warm anziehen. Eine lange Fahrt lag vor uns und ein sehr welliger Tag. Die Landschaft gefiel mir, aber die ständigen Wellen, etwas zu lang um mit Schwung darüber zu fahren, nahmen uns Energie. Auch an diesem Tag machten wir morgens Halt bei einer Bäckerei und frühstückten erst einmal, da wir ohne Frühstück losgefahren waren. Wie kann ich den Tag am besten beschreiben? Die Landschaft macht das Radfahren einfacher, obwohl es die ganze Zeit wellig und gleichmäßig war. Paul und ich kamen sehr gut miteinander aus und mal lag er vorne und mal ich. Das Wetter hatte sich zu perfektem Radfahrwetter entwickelt und Tag drei neigte sich mit jedem gefahrenen Kilometer dem Ende zu. Irgendwann im Laufe des Tages fragte mich mein Freund Adam Bialek, wann ich zurückfliege. Ich hatte ihm nicht geschrieben, dass ich nach Hause radeln würde. Paul und ich scherzten noch vor der Abfahrt: Wenn Adam das wüsste, würde er uns nur anschreien, dann habt ihr beim Rennen nicht alles gegeben :-) Nun antwortete ich ihm aber, dass ich mit Paul auf dem Heimweg mit dem Rad sei, worauf er erwiderte: Super, dann komme ich dir entgegen. Ich sagte nur kurz zu Paul: Weiß Adam eigentlich nicht, wie weit das ist, worauf Paul nur trocken erwiderte: Weißt du nicht, wer Adam Bialek ist? Ich musste so lachen. Ja, Paul hatte recht. Der Plan stand. Wir hatten uns für Samstagmorgen, den 07.09.2024 um 8 Uhr im Hotel verabredet und würden dann gemeinsam über die deutsch/französische Grenze fahren und anschließend mit dem Zug von Freiburg nach Dresden fahren und Adam würde nach Hause radeln. Paul hatte wie jeden Tag ein Hotel für uns gesucht, während ich für die Fotos zuständig war. Ein nettes kleines Hotel, eine schnelle Dusche und eine leckere Pizza zum Tagesausklang.
Freitag, 06.09.2024
Gut ausgeruht setzten wir nach dem Frühstück unsere Reise fort. Wie an den Vortagen war es mit 8 Grad recht kühl und wieder zogen wir unsere Bein- und Armstulpen sowie unsere Regenjacken an. Auch dieser Teil Frankreichs und die Landschaft gefielen mir gut. Es war nicht ganz so windig wie am Vortag und wir kamen gut voran. Ein Bäckerstopp und ein weiterer Supermarktstopp zum Verpflegung und schon hatten wir 250km geschafft und erreichten am frühen Abend unser Hotel in Chagny, gut 300km von Freiburg entfernt. Duschen, Wäsche waschen und ab ins Dorf auf der Suche nach einem Restaurant. Auf einer ausgehängten Speisekarte war sogar von „Froschschenkeln“ die Rede. Bis dahin dachte ich immer, das wäre nur eine Geschichte über die Franzosen. Umso mehr staunte ich, als ich diese „Köstlichkeit“ auf der Karte sah. Gegessen haben wir dann wie fast jeden Tag… Pizza. Ganz ohne Frösche. Zum Abschluss ein alkoholfreies Bier in einer Bar nebenan und Bett. Ich war gespannt, wann Adam zu uns stoßen würde. Er hatte mittags Feierabend und wollte die 520km fahren ;-) So ein verrückter Typ. Ich habe mich riesig auf das Wiedersehen gefreut.
Samstag, 07.09.2024
Adam hatte mir am Samstagmorgen eine Nachricht geschickt: Bin um 8 Uhr da, brauche kein Frühstück, werde mich schon selbst versorgen. Paul und ich genossen unser ausgiebiges Frühstück und ich schaute voller Vorfreude auf die Uhr und was soll ich sagen? Pünktlich wie ein chinesischer Zug oder präzise wie eine Schweizer Uhr kam Adam pünktlich um 8 Uhr an. Er freute sich so sehr uns wiederzusehen und von Müdigkeit war bei Adam nichts zu spüren. Unsere Räder waren startklar und wir machten uns auf die letzten 300 km nach Freiburg. Was dann geschah wird mich noch lange begleiten. Wir waren die letzten Tage nicht langsam unterwegs gewesen. Je nach Höhenprofil im Schnitt zwischen 25-26 km/h. Doch nun zeigte mein Tacho ständig Geschwindigkeiten von über 30 km/h an und das nicht weil Adam vorpreschte? Nein, Paul war die Lokomotive die mit Volldampf losfuhr. Irgendwann verliert er den Vorsprung, dachte ich. Spätestens beim morgendlichen Bäckerstopp, der diesmal jedoch ausfiel und durch einen kurzen Stopp bei einem Supermarkt ersetzt wurde.Nach knapp 4.000km war das Tempo so hoch, dass ich froh war, auf Platz 3 zu liegen. Dort ist bekanntlich der beste Windschatten. Erst in Freiburg änderte sich dieser Zustand. Selten habe ich einen so starken Fahrer wie Paul gesehen, der 300km ohne Anzeichen von Leistungsabfall führt. Wow! Danke für den Express-Service, Paul. In Freiburg angekommen, füllten wir noch schnell unsere Bäuche in einem Dönerladen, bevor wir uns trennten. Adam machte sich auf die Suche nach einem Hotel und Paul und ich eilten zum Bahnhof. Unsere Räder mussten wir für die Bahnfahrt noch zerlegen und verpacken, da wir keine Radplätze vorab reservieren konnten. Das benötigte Material in Form von vier Müllsäcken besorgte ich mir vom freundlichen Dönermann und eine Rolle Klebeband kaufte ich mir am Bahnhof. Pünktlich schafften wir es zum Bahnsteig. Kaum war der Zug da, kam er auch schon an. Ich würde ihn als „Horrorzug“ bezeichnen. Wie ich später erfuhr, waren in einem großen Teil Deutschlands und mehreren Zügen die Zugsignale ausgefallen. Die Passagiere aus zwei Zügen waren in einem Zug übereinander gestapelt. Freiburg – Leipzig – Dresden. Die Schaffner waren kurz davor die Fassung zu verlieren und der Zug konnte nicht abfahren. Man sagte uns, wir sollten aussteigen, aber das taten wir einfach nicht und siehe da… endlich schlossen sich die Türen und der Zug setzte sich in Bewegung. Es war der blanke Horror danach, besonders nach so wundervollen Tagen. Ich scherzte, dass die eigentliche Konkurrenz die Zugfahrt sein würde. Während der Zugfahrt gelang es uns sogar, ein Abteil zu erobern und ihr werdet es nicht glauben. Wir schafften es sogar mit 1,5 Stunden Verspätung nach Dresden. Wir radelten zu Pauls Büro. Dort wartete schon das Paket mit unseren Rucksäcken aus Spanien auf uns. Das war es! Mein/unser Abenteuer war vorbei. 4.100km in 15 Tagen. Adam hatte am Ende seines kurzen Besuchs 1.030km auf dem Tacho. Nun freute ich mich auf die Heimreise und das Wiedersehen mit meiner geliebten Frau Angela, die ich bald in die Arme schloss.
Fazit
Mittlerweile sind fast drei Wochen vergangen. In der ersten Woche war ich zwar etwas müder als sonst, aber sonst habe ich mich nicht wirklich erschöpft gefühlt. Das Radfahren macht mir immer noch Spaß und ich fahre fast jeden Tag kurze Touren. Was bleibt nach dem Rennen? Ich bin überglücklich, dass alles so gut geklappt hat. Weit über meine Erwartungen hinaus. Wenn ich jemals auf die Idee käme, ein noch längeres Rennen zu fahren, hätte ich jetzt die Gewissheit, dass es klappt. Nach dem Rennen habe ich zunächst von den endlosen Straßen gesprochen, aber je länger das Rennen zurückliegt und je öfter ich meine Erinnerungsfotos anschaue, desto klarer wird mein Blick auf das, was hinter mir liegt. Wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich sofort wieder losfahren und losfahren. Ich denke, dass ich mit der Erfahrung aus diesem Rennen mit Monotonie und endlosen Straßen viel besser umgehen könnte. Was ist das Herausragendste, was mir in Erinnerung geblieben ist? Ich habe lange darüber nachgedacht und mit Adam darüber gesprochen. Für mich ist es der Inbegriff von „Freiheit“. Alles ist verloren, sobald ich auf mein Rad steige und losfahre. Alles bleibt hinter mir und ich bin nur im „Hier und Jetzt“. Ich funktioniere und denke gar nicht daran. Die Grundbedürfnisse stehen an erster Stelle, nichts anderes. Dieser Zustand ist so tief, so rein und so ehrlich. Alles andere ist unwichtig. Als wäre es ein permanenter Zustand tiefer Meditation. „Wenn du jemanden wirklich kennenlernen willst, steig mit ihm in ein Boot und segle über einen Ozean.“ Es kann zu großen Problemen führen, wenn Menschen über lange Zeit jeden Tag alles zusammen machen und alles miteinander teilen. Paul und ich sind schon ein paar Mal zusammen geradelt, aber noch nie so lange zusammen. Es war sehr schön. Ich denke gerne an die letzten Tage zurück. Es gab nie Stress oder Meinungsverschiedenheiten und wir haben uns gegenseitig auf dem Rad unterstützt. Jetzt freue ich mich auf das kommende Wochenende und darauf, meine Freunde Adam, Paul, Felix (siehe Unknown Race Report) und Björn Lenhard wiederzusehen. Er organisiert am Samstag einen 200km Brevet, den wir gemeinsam fahren werden.
Ich hoffe, meine Berichte haben Euch ein wenig unterhalten, Freude bereitet, vielleicht sogar motiviert?
Alles Gute und bis bald
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Tuesday, 03.09.2024
There we were - Paul and I. Not two days after finishing the Transiberica, which was over 2,800 km long and had quite a few meters of elevation gain, on a wide road in Bilbao. And we were both looking forward to more days in the saddle. We laughed heartily at the thought: Did we do something wrong that we are still able to cycle home? It's best not to tell our mutual friend and very successful ultra-distance rider Adam Bialek, who will surely verbally kick us in the butt. "If you can still ride now, then you didn't give it your all in the race!" ;-) But at least I was 100% at peace with the course of the race. My expectations were exceeded. If you ask ultra riders whether they could imagine starting as a team, I have never heard anyone say: "Yes, I could imagine that." I, on the other hand, could very well imagine it. I love sharing joy and supporting each other in difficult situations. However, you should know exactly who you are going on such an adventure with. Paul and I have known each other for a long time, but I had never been on such a long tour with him over several days before. And I would say this up front: I would go with him again. It wasn't long before we left the city behind us and plunged into the green Basque Country, which showed its wet side. We went up and down constantly, and we plunged deeper and deeper into a mist-shrouded, mystical landscape. What I at least didn't know was that the region between Bilbao and San Sebastián in particular is an important industrial center in Spain and has a long history of industrial development. So we rode through cities that were shaped by steel and mechanical engineering, past aerospace and high-tech companies as well as the chemical and pharmaceutical industries. Good for the Spanish economy, but not so good visually for two cyclists on their way to Germany. But it was an experience. The fog turned into warm rain. A photo here and there, and of course the morning visit to a tapas bar was a must: café con leche and a piece of tortilla. And then what happened happened to both of us during the race: a loud hissing sound and white milk on the wet asphalt. Paul had ridden through a piece of broken glass and had a large cut in his tire. I held the hole closed to prevent any more sealant from escaping from the tubeless tire and Paul got out his Dynaplug repair kit - a wonderful tool. He put a plug in the cut, but it didn't completely seal the hole. I had seen in a YouTube video before the race that you should use a second plug in this case - and it worked. The cut was sealed and should stay sealed for the whole ride. We didn't have any further problems during the rest of the ride.
We continued our journey and reached San Sebastian. I not only love cycling, but also cycling sport and the Classica San Sebastian is one of the most famous one-day cycling races in the region. Unfortunately, my expectations of San Sebastian were not fulfilled. So we drove on a two-lane road in the middle through an endless traffic jam. Where am I, I asked myself. A photo on the cliffs and continued towards Biaritz. We crossed the Spanish/French border and stopped at a burger shop. Vegie burger, French fries and hotel searched for and found. Once across the street and a beautiful hotel built in the American motel style offered us the perfect overnight stay.
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