
Schon immer führten unsere Vorfahren Kriege. Jeder Krieg hatte seine Gründe – ob Angriff oder Verteidigung – und nach jedem Krieg, egal ob gewonnen oder verloren, kehrte irgendwann wieder Frieden ein. Mal dauerte er länger, mal kürzer. Und immer wieder begannen die Menschen von vorn: Sie bauten auf, gaben ihrem Leben einen Sinn, zerstörten das, was sie erschaffen hatten – um erneut aufzubauen und wieder zu zerstören.
So lebten unsere Vorfahren, Großeltern und Eltern in einem ständigen Wechselspiel aus Zerstören und Aufbauen. Die Regeln bestimmten sie selten selbst. Sie waren Teil eines größeren Ganzen, das über sie hinwegrollte wie eine Welle.
Als ich zur Welt kam, waren gerade einmal 18 Jahre vergangen, seit der letzte Krieg zu Ende war. Ich wuchs in Friedenszeiten auf – und lebe bis heute in Friedenszeiten. Dafür bin ich unendlich dankbar.
Meine Eltern gaben mir das weiter, was sie selbst gelernt hatten: Arbeite, sei fleißig, sparsam, beklage dich nicht und schaffe etwas im Leben. Sie hatten den Krieg als Kinder erlebt und wollten, dass es uns einmal besser geht. Mein Vater arbeitete in einer Fabrik, meine Mutter kümmerte sich um uns Kinder, und als wir älter wurden, suchte auch sie sich Arbeit. Sie waren fleißig, arbeiteten viel und lernten trotzdem, das Leben zu genießen.
Wir machten regelmäßig Urlaub, und meine Eltern gönnten sich hin und wieder kleine Luxusgüter. So wie uns ging es damals vielen Menschen in unserem Land. Das Volk war kriegsmüde und wollte sich etwas zurückholen vom Leben. Die Wirtschaft wuchs, und wir profitierten alle davon.
Je besser es den Menschen ging, desto mehr konnten sie sich leisten. Es wurde produziert, gekauft und verkauft. Dinge, die das Leben erleichterten. Das Volk hatte es sich verdient, so glaubte man. Ein Auto, ein Fernseher, eine größere Wohnung, elektrische Küchengeräte, Kleidung – alles, was man brauchte oder glaubte zu brauchen.
Meine Mutter war froh, die Kaffeemühle nicht mehr mit der Hand drehen zu müssen, also bekam sie zum Geburtstag eine elektrische Kaffeemaschine. Später folgten ein Schnellkochtopf, ein Staubsauger, sogar ein Tischstaubsauger. Mein Vater freute sich über eine Bohrmaschine, eine Stichsäge und ein Autoradio. Wir Kinder bekamen Spielzeug, meist aus Plastik. Jedes Jahr fuhren wir in den Urlaub – immer Richtung Süden.
Die Rechnung war einfach: Wer fleißig arbeitete, konnte sich etwas leisten. Man produzierte, andere kauften, und umgekehrt. Unsere Währung war stark, unsere Industrie gefragt.
Mit der Zeit wollten die Menschen mehr. Ein größeres Auto, eine größere Wohnung, vielleicht ein eigenes Haus. Der Urlaub sollte nicht mehr nur mit dem Auto erfolgen, sondern per Flugzeug in ferne Länder. Mehr Wohlstand erforderte mehr Einkommen. Da aber die meisten nicht noch mehr arbeiten wollten, begannen sie, mit ihren Arbeitgebern zu verhandeln – und wenn das nicht half, zu streiken. Die Gewerkschaften spielten eine große Rolle, und viele Löhne stiegen.
Gleichzeitig holte man Menschen aus anderen Ländern ins Land. "Gastarbeiter" nannte man sie. Sie wurden angeworben, um den wirtschaftlichen Aufschwung zu stützen und die Arbeit zu erledigen, für die es nicht genug Arbeitskräfte gab.
Doch mit der Zeit veränderte sich die Balance. Höhere Löhne bedeuteten höhere Kosten, Waren wurden teurer, Unternehmen suchten nach Auswegen und verlagerten die Produktion in Länder, wo Arbeit billiger war. Viele Menschen verloren ihre Arbeit. Gleichzeitig kauften wir nun dieselben Waren, die wir früher selbst hergestellt hatten, aus der Ferne – günstiger produziert, günstiger verkauft.
Neue Berufe entstanden: nicht mehr Produzenten, sondern Händler und Transporteure. Waren wurden über Ozeane verschifft, per LKW durch Länder gefahren, per Flugzeug transportiert. Immer weniger Menschen arbeiteten körperlich. Immer mehr lebten gut von Dienstleistungen, Handel und Logistik.
Die Kinder der Nachkriegsgeneration wollten saubere Hände und sichere Jobs. Handwerk und Fabrikarbeit verloren an Attraktivität. Das Leben wurde bequemer – und paradiesisch schön, so schien es.
Selbst Lebensmittel kamen von weit her. Im Winter aßen wir Früchte, die wir früher nicht kannten. Urlaub war selbstverständlich geworden. Viele Menschen, einst schlank durch harte Arbeit, wurden rundlich. Der Wohlstand wuchs – und mit ihm die Bequemlichkeit.
Kochen wurde zur Ausnahme. Man bestellte Essen, das von anderen für wenig Geld gekocht und geliefert wurde. Was kaputtging, warf man weg. Man kaufte neu. Es gab keinen Grund mehr für Krieg. Alles war im Überfluss vorhanden.
Und doch: Je länger der Frieden dauerte, je größer der Wohlstand wurde, desto mehr Unzufriedenheit keimte auf. Manche wollten noch mehr, andere wollten nichts teilen, wieder andere sahen ihren Besitz durch jene bedroht, die weniger hatten.
Dann kam ein Ereignis, das keiner erwartet hatte. Es hieß, eine Krankheit bedrohte die Welt. Schulen, Arbeitsplätze, Geschäfte – alles wurde geschlossen. Die Menschen mussten zu Hause bleiben. Zu ihrem Schutz, sagten sie. Die globalen Lieferketten brachen. In unserem Land wurde kaum noch etwas produziert, und aus der Ferne kam nichts mehr.
Wir saßen in einem goldenen Käfig, und der Glanz begann zu bröckeln. Zwei Jahre reichten, um die vermeintlich stabile Ordnung ins Wanken zu bringen.
Und so geschah, was schon so oft geschehen war: Die Menschen zerstörten nicht aus Armut, sondern diesmal aus Wohlstand das, was sie aufgebaut hatten.
Vielleicht liegt darin die Tragik unserer Spezies:
Wir lernen nicht.
Wir glauben immer, wir hätten es diesmal besser gemacht.
Doch irgendwann geraten wir in denselben Strudel aus Gier, Macht, Bequemlichkeit und Angst.
Und dann fangen wir wieder von vorne an.
© [2024] [Arno Burgi] All rights reserved-
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Our ancestors have always known war.
Every war had its reasons—whether to conquer or to defend—and after each one, whether lost or won, peace would return. Sometimes it lingered, sometimes it was brief. And time and again, humanity began anew: they built, gave their lives meaning, destroyed what they had once created—only to rebuild it once more, and eventually to destroy again.
Such was the rhythm of life for those who came before us—our ancestors, our grandparents, our parents. Caught in the endless cycle of creation and destruction, rarely were they the ones to write the rules. They were part of a greater force, one that swept over them like a tide.
When I was born, only eighteen years had passed since the last war had ended. I was raised in peacetime—and I still live in peace today. For that, I am profoundly grateful.
My parents passed on to me what life had taught them: work hard, be diligent, be frugal, complain little, and make something of yourself. They had known war as children and wished for a better life for us. My father worked in a factory, my mother cared for us children, and when we were older, she, too, found work. They worked hard, they worked often—and yet, they also learned to find joy in life.
We took vacations regularly, and from time to time my parents indulged in small luxuries. We were not alone. Many people in our country lived much the same. War-wearied, the nation longed to reclaim something of life. The economy grew, and we all shared in its promise.
The better life became, the more people could afford. Things were made, sold, and bought—objects that promised comfort and ease. People believed they had earned them. A car, a television, a larger apartment, electric appliances, clothing—everything one needed, or believed one needed.
My mother was delighted she no longer had to grind coffee by hand, and so, for her birthday, she was given an electric coffee machine. Later came a pressure cooker, a vacuum cleaner—even a table vacuum. My father cherished his new drill, his jigsaw, his car radio. We children received toys, most of them plastic. Every year, we traveled—always southward.
The logic was simple: those who worked hard could afford a good life. You produced, others bought—and vice versa. Our currency was strong, our industry in demand.
In time, people wanted more. A bigger car, a larger flat, perhaps a home of their own. Vacations by car no longer sufficed—it had to be by plane, to distant lands. Greater prosperity required greater income. But since most were unwilling to work more hours, they began to negotiate with employers—and when that failed, they went on strike. Unions grew in power, and wages followed.
At the same time, people from other countries were brought in. They were called "guest workers". They were invited to support the growing economy and fill the gaps where hands were missing.
But over time, the balance shifted. Higher wages meant rising costs; goods became more expensive; companies looked for other options, moving production to places where labor was cheaper. Many lost their jobs. And the very products we once made ourselves were now imported—from far away, made cheaply, sold cheaply.
New jobs emerged—not as makers, but as traders and transporters. Goods crossed oceans, rolled through countries, flew across continents. Fewer people worked with their hands. More lived well on services, trade, and logistics.
The children of the post-war generation wanted clean hands and secure jobs. Crafts and factory work lost their appeal. Life became easier—almost idyllic.
Even food came from far away. In winter, we ate fruit our grandparents had never seen. Vacations became a matter of course. Many people, once lean from hard labor, grew round. Prosperity bloomed—and with it, comfort.
Cooking became rare. Food was ordered—prepared by others, delivered for little money. What broke was thrown away. New things were bought. There was no longer a reason for war. Everything existed in abundance.
And yet: the longer peace endured, the more wealth grew, the more discontent crept in. Some wanted more, others did not want to share, and some began to feel threatened—by those who had less.
Then an event occurred that no one had expected. It was said that a disease threatened the world. Schools, workplaces, businesses—everything was closed. People had to stay home. For their protection, they said. Global supply chains broke. Hardly anything was being produced in our country anymore, and nothing was coming from abroad.
We were sitting in a gilded cage, and the shine began to crumble. Two years were enough to shake the supposedly stable order.
And so, as so often in history, it happened again:
This time, it was not poverty but prosperity that led us to destroy what we had built.
Perhaps this is the tragedy of our kind:
We do not learn.
We always believe that this time, we’ve done it better.
And yet, sooner or later, we’re drawn into the same spiral—of greed, power, comfort, and fear.
And then, we begin again.
© [2024] [Arno Burgi] All rights reserved-
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